Kritik an den Expertenstandards und klare Hinweise auf Haftungsfallen

Gal­ten Stür­ze bei älte­ren Men­schen frü­her noch als all­ge­mei­nes Lebens­ri­si­ko, schau­en Kos­ten­trä­ger und Ver­si­che­run­gen heu­te genau­er hin und fra­gen nach einer Mit­ver­ant­wor­tung des Kran­ken­hau­ses oder der Pfle­ge­ein­rich­tung. Unbe­dingt müs­sen sich Trä­ger also damit aus­ein­an­der­set­zen, wie Haf­tungs­ri­si­ken ver­mie­den und moder­ne Stan­dards zur Sturz­ver­mei­dung ein­ge­setzt wer­den können.

500 Prak­ti­ker aus Pfle­ge und Medi­zin beschäf­tig­ten sich beim Inter­dis­zi­pli­nä­ren Sturz­Con­gress des­halb mit dem vor­lie­gen­den Exper­ten­stan­dard zur Sturz­pro­phy­la­xe, der zum Teil auch scharf kri­ti­siert wur­de. Das im Stan­dard emp­foh­le­ne Aus­fül­len einer Ska­la zur Ein­schät­zung des Sturz­ri­si­kos bei­spiels­wei­se habe “kei­ne kli­ni­sche Rele­vanz, abge­se­hen von der Bin­dung knap­per Pfle­ge- und Zeit­res­sour­cen”, kri­ti­sier­te Frau Prof. Dr. Gabrie­le Mey­er von der Uni­ver­si­tät Witten/Herdecke. Im Gegen­teil: Die Benut­zung einer risi­ko­ska­la sei eher nicht emp­feh­lens­wert, beton­te die Pfle­ge­wis­sen­schaft­le­rin. Zudem sei auch der Nut­zen des Exper­ten­stan­dards in der Pra­xis nicht unter­sucht und belegt wor­den – eine Ver­bes­se­rung der Pfle­ge­er­geb­nis­se also nicht zwin­gend zu erwar­ten. Daher dür­fe ein Exper­ten­stan­dard auch nicht, wie jetzt mit dem Pfle­ge-Wei­ter­ent­wick­lungs­ge­setz gesche­hen, zur abso­lu­ten Hand­lungs­leit­li­nie erho­ben und zur juris­ti­schen Bewer­tung der Pfle­ge­qua­li­tät her­an­ge­zo­gen werden.

Der Köl­ner Pfle­ge­recht­ler Prof. Dr. Vol­ker Groß­kopf hob erneut her­vor, dass Stür­ze mehr als alle ande­ren Vor­fäl­le im Gesund­heits­we­sen zum Gegen­stand von Haft­pflicht­pro­zes­sen wer­den. Dabei sind die Klä­ger neben den Kos­ten­trä­gern immer häu­fi­ger Pati­en­ten, Bewoh­ner oder deren Ange­hö­ri­ge. Die­se Ent­wick­lung wer­de durch die pro­vo­kan­te Dar­stel­lung von ver­ein­zel­ten Pfle­ge­män­geln in den Mas­sen­me­di­en und die stei­gen­de Zahl von Inha­bern einer Recht­schutz­ver­si­che­rung noch wei­ter vor­an­schrei­ten, erwar­tet Groß­kopf. Sturz­pro­phy­la­xe sei also eine her­aus­ra­gen­de Auf­ga­be für das Qua­li­täts­ma­nage­ment und die betriebs­wirt­schaft­li­che Füh­rung aller Trä­ger im Gesundheitswesen.

“Der Wil­le des Pati­en­ten ist immer obers­tes Gebot”, unter­strich auch Rechts­an­walt und Hoch­schul­do­zent Hubert Klein im Rah­men sei­ner Stel­lung­nah­me zum Ein­satz frei­heits­ent­zie­hen­der Maß­nah­men wie Bett­git­tern oder Fixie­rungs­gur­ten. Pfle­gen­de müss­ten den geäu­ßer­ten Wil­len eines Bewoh­ners stets berück­sich­ti­gen und sich ansons­ten durch ärzt­li­che Ver­ord­nun­gen absichern.

Mit rund 500 Mio. Euro bezif­fern die Kran­ken­kas­sen den jähr­li­chen Behand­lungs­kos­ten­auf­wand für die Fol­gen von Stür­zen in der Pfle­ge, die Pro­phy­la­xe ist also auch eine wirt­schaft­li­che Not­wen­dig­keit. Mit die­ser Fest­stel­lung bezog Diplom-Volks­wirt Jörg Peter­sen von der DAK klar Posi­ti­on und for­der­te einen “Plan zur Abschaf­fung der Schen­kel­hals­frak­tur”. Dabei will die Kas­se sturz­ge­fähr­de­te Mit­glie­der iden­ti­fi­zie­ren und mit Prä­ven­ti­ons­an­ge­bo­ten, von Kur­sen bis hin zu Hüft­pro­tek­to­ren, unterstützen.

Die­ser Bei­trag erschien erst­mals in der Fach­zeit­schrift Rechts­de­pe­sche.