Die Politik darf sich nicht wegducken!

Unter dem Druck knap­per Res­sour­cen im Gesund­heits­we­sen wer­den die Auf­ga­ben zwi­schen Ärz­ten und Pfle­gen­den längst neu ver­teilt. Was bis­her fehlt, ist eine ver­läss­li­che gesetz­li­che Grund­la­ge, waren sich jetzt Refe­ren­ten und Fach­be­su­cher des Jura­He­alth Con­gress (JHC) 2010 in Ber­lin einig.

Wo kla­re Rege­lun­gen feh­len, agie­ren die Betrof­fe­nen in einer haf­tungs­recht­li­chen Grau­zo­ne. In der Pra­xis sei es längst unum­gäng­lich gewor­den, ärzt­li­che Rand­auf­ga­ben auf die Pfle­ge zu ver­la­gern, erklär­te der Geschäfts­füh­rer des Städ­ti­schen Kli­ni­kums Gör­litz, René Bos­tel­a­ar. Zur Ablauf­ko­or­di­nie­rung und ‑kon­trol­le bedür­fe es aber gleich­zei­tig der Ein­füh­rung eines moder­nen Case Manage­ments, for­der­te der frü­he­re Pfle­ge­di­rek­tor der Uni­kli­nik Köln, der dort viel­be­ach­te­te Pro­jek­te zur Dele­ga­ti­on rea­li­siert hat.

Zahl­rei­che Refe­ren­ten aus der Rechts­wis­sen­schaft wie der Pfle­ge­recht­ler Prof. Dr. Vol­ker Groß­kopf wie­sen jedoch auf die bis­her noch feh­len­de Recht­spre­chung zur Haf­tung bei der Neu­ver­tei­lung von Auf­ga­ben in Medi­zin und Pfle­ge hin. Er riet vor­sorg­lich zu einem umfas­sen­den Haft­pflicht­ma­nage­ment, um die Kli­nik oder Pfle­ge­ein­rich­tung im Kla­ge­fall vor der Beweis­pflicht bei Scha­dens­er­satz­for­de­run­gen wirk­sam zu schüt­zen. Dazu sei­en eine enge Ori­en­tie­rung an gel­ten­den fach­li­chen Stan­dards sowie eine umfas­sen­de Doku­men­ta­ti­on der ergrif­fe­nen und unter­las­se­nen Maß­nah­men not­wen­dig. Der Wirt­schafts- und Sozi­al­recht­ler Prof. Dr. Klaus Theu­er­kauf wies aber auch auf die Gren­zen der aktu­el­len und künf­ti­gen pfle­ge­ri­schen Exper­ten­stan­dards hin, die eine kon­kre­te Anpas­sung an die jewei­li­gen Arbeits­ab­läu­fe in einer Ein­rich­tung erfor­der­ten und nicht wört­lich als Anlei­tung ver­stan­den wer­den dürften.

Zur aktu­el­len Sor­ge des Gesund­heits­we­sens bezüg­lich des in vie­len Berei­chen schwin­den­den Haft­pflicht­schut­zes nahm Ste­fan Knoch von der Geschäfts­füh­rung des inter­na­tio­na­len Ver­si­che­rungs­mak­lers Asse­ku­ranz AG Stel­lung. Er ver­wies auf eine rasant gestie­ge­ne Inan­spruch­nah­me von Haft­pflicht­ver­si­che­run­gen und höhe­re Haf­tungs­sum­men in vie­len Ein­zel­fäl­len. Maß­nah­men der Qua­li­täts­si­che­rung und der Kri­sen­in­ter­ven­ti­on könn­ten hel­fen, das Haf­tungs­ri­si­ko einer Ein­rich­tung und damit letzt­lich auch die Prä­mi­en deut­lich zu sen­ken. Die Ver­si­che­run­gen müss­ten in alle Bemü­hun­gen um moder­ne Kon­zep­te zum Per­so­nal­ein­satz ein­ge­bun­den wer­den, waren sich die Juris­ten, Ärz­te und Pfle­ge­ma­na­ger einig. Ein­hel­lig sehen sie gro­ße Chan­cen zur Ver­bes­se­rung der Ver­sor­gung und für finan­zi­el­le Ein­spa­run­gen, wie­sen gleich­zei­tig aber auch auf die recht­li­chen Unklar­hei­ten hin.

“Die Poli­tik darf sich hier nicht weg­du­cken”, for­der­te in der abschlie­ßen­den Podi­ums­dis­kus­si­on Prof. Dr. Ingo Pals­herm von der Hoch­schu­le Fre­se­ni­us. Er kri­ti­sier­te, dass die jüngs­te Bun­des­rats­in­itia­ti­ve zur Rege­lung der Aus­bil­dung für chir­ur­gi­sche Assis­ten­ten im Bun­des­tag zurück­ge­wie­sen wur­de. Ande­re Mög­lich­kei­ten für Modell­pro­jek­te, z.B. zur pfle­ge­ri­schen Ver­ord­nungs­kom­pe­tenz im Bereich der Wund­ver­sor­gung, könn­ten eben­falls nicht rea­li­siert werden.

Auch aus den Rei­hen der Kon­gress­teil­neh­mer erhielt die­se For­de­rung brei­te Zustim­mung. Gera­de in der Pfle­ge herr­sche gro­ße Bereit­schaft, neue Auf­ga­ben zu über­neh­men, berich­te­ten Fach­be­su­cher aus Kli­ni­ken und Pfle­ge­hei­men. Es müs­se dazu aber end­lich eine ver­läss­li­che arbeits- und haf­tungs­recht­li­che Rege­lung geben.

Die­ser Bei­trag erschien erst­mals in der Fach­zeit­schrift Rechts­de­pe­sche.