“Menschenrechte dürfen nicht an Personalengpässen scheitern”

In ihrer Eröff­nungs­re­de beton­te NRW-Gesund­heits­mi­nis­te­rin Bar­ba­ra Stef­fens den hohe Stel­len­wert des Selbst­be­stim­mungs­rechts des Men­schen ste­hen, auch im Alter oder im Krank­heits­fall. “Fixie­rung als Nor­mal­fall kann nicht unse­re Lebens­wirk­lich­keit sein.”

Bar­ba­ra Stef­fens, Gesund­heits­mi­nis­te­rin des Lan­des Nord­rhein-West­fa­len, hat sich erneut gegen die hohe Zahl von Fixie­run­gen in Pfle­ge­hei­men, Kran­ken­häu­sern und psych­ia­tri­schen Ein­rich­tun­gen aus­ge­spro­chen. Zur Eröff­nung des Jura­He­alth Con­gres­ses 2012 sag­te die Minis­te­rin am Mor­gen in Köln, an ers­ter Stel­le müs­se immer das Selbst­be­stim­mungs­recht des Men­schen ste­hen, auch im Alter oder im Krankheitsfall.

Stef­fens erläu­ter­te auch die Abschaf­fung der Video­über­wa­chun­gen in psych­ia­tri­schen Ein­rich­tun­gen in Nord­rhein-West­fa­len. Vie­le Ein­rich­tun­gen gin­gen nun neue Wege, die natür­lich auch ent­spre­chen­des Per­so­nal benö­tig­ten. Stef­fens beton­te jedoch: “Men­schen­rech­te dür­fen nicht an Per­so­nal­eng­päs­sen scheitern.”

Ursa­chen von Gewalt im Gesund­heits­we­sen und Stra­te­gien zu deren Ver­mei­dung stan­den im Mit­tel­punkt des zum bereits fünf­ten Mal statt­ge­fun­den­den pfle­ge- und medi­zin­recht­li­chen Fach­kon­gres­ses. Rund 250 Juris­ten, Medi­zi­ner und Pfle­ge­ex­per­ten bespra­chen die juris­ti­schen und orga­ni­sa­to­ri­schen Rah­men­be­din­gun­gen, die Kli­ni­ken, Pfle­ge­ein­rich­tun­gen, Wohn­an­la­gen oder The­ra­pie­zen­tren schaf­fen müs­sen, um Über­grif­fe zwi­schen Pfle­gen­den und Pati­en­ten zu ver­hin­dern oder zu ent­schär­fen. Dabei ging es auch um Alter­na­ti­ven zu Fixie­run­gen und frei­heits­ent­zie­hen­den Maßnahmen.

Dr. Hel­mut Frohn­ho­fen, der Chef­arzt der Kli­nik für Inne­re Medi­zin und Ger­ia­trie der Kli­ni­ken Essen-Mit­te, ver­wies ein­drucks­voll auf die Gefah­ren bei­spiels­wei­se durch einen Mus­kel­ver­lust, der mit der lan­gen Bewe­gungs­un­fä­hig­keit fixier­ter Per­so­nen ein­her­ge­hen kann. “Bett­ru­he ist so gefähr­lich, dass wir die Pati­en­ten eigent­lich medi­zi­nisch auf­klä­ren müss­ten”, sag­te der Mediziner.

Zusam­men­hän­gend mit Gewalt­si­tua­tio­nen war zudem der Umgang mit frei­heits­ent­zie­hen­den Maß­nah­men und deren juris­ti­sche Bewer­tung The­ma auf dem Fach­kon­gress in den Köl­ner Sar­to­ry-Sälen. Dabei lie­fer­te die in Nord­rhein-West­fa­len vor­be­rei­te­te Abschaf­fung der Video­über­wa­chung bei Fixie­run­gen in psych­ia­tri­schen Ein­rich­tun­gen einen aktu­el­len und bri­san­ten Anlass und sorg­te für inten­si­ve Dis­kus­sio­nen um die damit ein­her­ge­hen­den per­so­nel­len und orga­ni­sa­to­ri­schen Herausforderungen.

So ging der fach­ärzt­li­che Bera­ter im Dezer­nat “Kli­nik­ver­bund und Heil­päd­ago­gi­sche Hil­fen” des Land­schafts­ver­ban­des Rhein­land (LVR), Dr. Phil­ipp Mas­sing, detail­liert auf die Hand­lungs­kon­se­quen­zen für die the­ra­peu­ti­sche Pra­xis auf den Sta­tio­nen ein, die sich ins­be­son­de­re in den ers­ten Mona­ten seit der Ein­füh­rung der Geset­zes­no­vel­le erge­ben haben.

Zwangs­maß­nah­men aus Betreu­ungs­recht und PsychKG sowie deren Fol­gen waren The­ma von Harald Res­ke, Rich­ter am Betreu­ungs­ge­richt in Köln, und Rechts­an­walt Hubert Klein, eben­falls aus Köln. Die bei­den Juris­ten, die nor­ma­ler­wei­se auf unter­schied­li­chen Sei­ten der Rich­ter­bank ste­hen, konn­ten hier ihre Erfah­run­gen mit dem gemein­sa­men The­ma dem Publi­kum nahe brin­gen. Dem­ge­gen­über stell­te der Rechts­me­di­zi­ner Prof. Dr. Mar­kus Roth­schild die dras­ti­schen Fol­gen einer unge­nü­gen­den und feh­ler­haft ange­brach­ten Gurt­fi­xie­rung dar.

Abge­run­det wur­de der dies­jäh­ri­ge Jura­He­alth Con­gress mit Vor­trä­gen von Man­fred Bor­ut­ta vom Amt für Alten­ar­beit des Krei­ses Aachen zum Gewalt­phä­no­men und von Dipl.-Pädagogen Erich Schüt­zen­dorff zu Stra­te­gien im Umgang mit älte­ren Men­schen mit Demenz.

In Leip­zig, Ber­lin und Dres­den hat­te der Jura­He­alth Con­gress in den ver­gan­ge­nen Jah­ren The­men an der Schnitt­stel­le von Recht und Gesund­heit auf­ge­grif­fen, wie zum Bei­spiel die Dele­ga­ti­on ärzt­li­cher Auf­ga­ben auf die Pfle­ge oder die Neu­or­ga­ni­sa­ti­on von Per­so­nal­sys­te­men im Gesund­heits­we­sen. Der Jura­He­alth Con­gress 2013 soll sich mit den juris­ti­schen Dimen­sio­nen der Hygie­ne in Kran­ken­häu­sern, Arzt­pra­xen und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen beschäftigen.

Die­ser Bei­trag erschien erst­mals in der Fach­zeit­schrift Rechts­de­pe­sche.