Harn(in)kontinenz im Fokus von Pflege und Recht

Zum inzwi­schen sieb­ten Mal luden der Deut­sche Pfle­ge­ver­band (DPV) und das Fort­bil­dungs­in­sti­tut PWG-Semi­na­re zum Pfle­ge­rechts­sym­po­si­um in Köln-Deutz ein.

Die jüngs­te Ver­öf­fent­li­chung des Deut­schen Netz­werks für Qua­li­täts­ent­wick­lung in der Pfle­ge (DNQP) – der Exper­ten­stan­dard “För­de­rung der Harn­kon­ti­nenz in der Pfle­ge” – wur­de zum Anlass genom­men, sowohl über Hin­ter­grün­de und Umset­zungs­mög­li­chen als auch über die hier­mit im Zusam­men­hang ste­hen­den haf­tungs- und sozi­al­recht­li­chen Aspek­te zu informieren.

Die Imple­men­tie­rung eines natio­na­len Exper­ten­stan­dards in die Orga­ni­sa­ti­ons­wirk­lich­keit fällt in den Auf­ga­ben­be­reich des Qua­li­täts­ma­nage­ments. Wel­cher Schrit­te es hier­zu bedarf, erläu­ter­te Dipl.-Pflegewirt Sascha Saßen. Beson­de­res Augen­merk sei dabei auf die Fol­ge­pro­gram­me zu rich­ten, durch die eine Imple­men­tie­rung erst ihre vol­le Wir­kung ent­fal­tet. Vor­ran­gig sei dabei die sys­te­ma­ti­sche Schu­lung der Mit­ar­bei­ter in Bezug auf die neu­en Ver­fah­rens­re­geln zu nen­nen. Die Fest­stel­lung der Wirk­sam­keit erfolgt hin­ge­gen durch zeit­gleich ein­zu­füh­ren­de Controlling-Maßnahmen.

Die Pfle­ge­wis­sen­schaft­le­rin Danie­la Hay­der von der Uni­ver­si­tät Witten/Herdecke war an der Gestal­tung des Exper­ten­stan­dards maß­geb­lich betei­ligt. Sie berich­te­te nicht nur über sei­ne Ent­ste­hungs­ge­schich­te, son­dern gab auch dedi­zier­te Hin­wei­se zu spe­zi­fi­schen För­der­mög­lich­kei­ten. Beson­de­ren Stel­len­wert in der Arbeit mit unter Harn­in­kon­ti­nenz lei­den­den Men­schen nimmt dabei die dif­fe­ren­zier­te Ein­schät­zung (“Assess­ment”) ein, zu der die Ermitt­lung des soge­nann­ten Kon­ti­nenz­pro­fils gehört, also der Grad des per­so­nel­len und mate­ri­el­len Unter­stüt­zungs­be­darfs des Betroffenen.

Auch Prof. Dr. Ingo Füs­gen, Ärzt­li­cher Direk­tor der ger­ia­tri­schen Kli­ni­ken St. Anto­ni­us in Wup­per­tal, for­der­te in sei­nem Vor­trag die durch­gän­gi­ge Anwen­dung eines sol­chen Assess­ments sowie den Ein­satz ent­spre­chend qua­li­fi­zier­ter Pfle­ge­kräf­te. Sei­ner Ansicht nach stellt die Pfle­ge von inkon­ti­nen­ten Bewoh­nern und Pati­en­ten – vor allem in der häu­fig unter­schätz­ten Kom­bi­na­ti­on von Stuhl- und Harn­in­kon­ti­nenz – eine der zen­tra­len Her­aus­for­de­run­gen dar. Unter­su­chun­gen in zwei Heimein­rich­tun­gen zeig­ten bei­spiels­wei­se, dass dort jeder zwei­te Pfle­ge­be­dürf­ti­ge und jeder vier­te Bewoh­ner über 80 Jah­re unter Inkon­ti­nenz lei­det. Ande­re Stu­di­en brach­ten zudem eine enge Ver­bin­dung zur Mul­ti­mor­bi­di­tät, zu Ver­än­de­run­gen von Krank­heits­ver­läu­fen hin­sicht­lich des Schwe­re­gra­des und zur Erhö­hung von Kran­ken­haus- und Pfle­ge­heim­auf­nah­men zutage.

Ein völ­lig ande­res Pro­blem­feld beleuch­te­te Mar­co Di Bel­la, stu­den­ti­scher Mit­ar­bei­ter von Prof. Groß­kopf an der Katho­li­schen Fach­hoch­schu­le NW in Köln und Redak­ti­ons­mit­glied der RDG: So habe die Unter­su­chung von über 60 haf­tungs­recht­li­chen Gerichts­ent­schei­dun­gen mit nahe­zu 80 Stür­zen zu der Erkennt­nis geführt, dass mehr als jedes vier­te Sturz­ge­sche­hen in Ver­bin­dung mit einem Gang zur Toi­let­te steht. Die För­de­rung der Harn­kon­ti­nenz und die damit ver­bun­de­ne Ein­däm­mung des Sturz­ri­si­ko­fak­tors sind somit als taug­li­che Instru­men­te des Risi­ko­ma­nage­ments zur Ver­mei­dung einer haf­tungs­recht­li­chen Inan­spruch­nah­me zu sehen. Die Bri­sanz die­ser The­ma­tik wur­de in der anschlie­ßen­den und äußerst rege geführ­ten Dis­kus­si­ons­run­de unter der Mode­ra­ti­on von Prof. Groß­kopf deutlich.

Die sozi­al­recht­lich­ten Aspek­te der Bereit­stel­lung von Inkon­ti­nenz­pro­duk­ten als Leis­tung der Kran­ken­kas­sen wur­de von Dr. Elke Mohr dar­ge­stellt. Die erfah­re­ne Medi­zi­ne­rin und lang­jäh­ri­ge Mit­ar­bei­te­rin des MDK zeig­te nicht nur den Weg eines sol­chen Pro­duk­tes in das Hilfs­mit­tel­ver­zeich­nis der Kran­ken­kas­se auf, son­dern erläu­ter­te dar­über hin­aus die Anspruchs­grund­la­gen der Versicherten.

Die sozio­öko­no­mi­sche Bedeu­tung der Inkon­ti­nenz­er­kran­kun­gen für Deutsch­land ver­deut­lich­te Dr. Chris­tia­ne von Reib­nitz in ihrem abschlie­ßen­den Vor­trag: So sind in Deutsch­land rund 11 Mio. Men­schen von Inkon­ti­nenz betrof­fen, und die Finan­zie­rung der Hilfs­mit­tel steht vor erheb­li­chen Ver­än­de­run­gen. Mit dem im April 2007 in Kraft tre­ten­den Wett­be­werbs­stär­kungs­ge­setz wer­den dann unter ande­rem auch für Inkon­ti­nenz­pro­duk­te Fest­be­trä­ge Gül­tig­keit erlangen.

Die­ser Bei­trag erschien erst­mals in der Fach­zeit­schrift Rechts­de­pe­sche.